Gärtnern ohne Gifte
Garten und Pestizide, das gehörte in meiner Generation (geboren in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre) ganz klar zusammen.
«Natur muss gezähmt und kontrolliert werden.»
«Wo jäten und schneiden nicht reicht, wird gebaut – und für alles andere gibt es ja noch den Heilsbringer Chemie!»
Das Unkraut im Rasen und in den Belagsfugen, Moose auf Findlingen, die Läuse am Obst, der Mehltau an den Rosen, Käfer, Raupen und anderes Getier… ohne Gift im Garten – undenkbar.
Mittlerweile sind wir aufgeklärter, wissen dank neuer Messmöglichkeiten, dass diese Stoffe im Trinkwasser landen, das Bodenleben zerstören, die Insekten- und Vogelwelt bedrohen und nachgewiesenermassen bei uns Menschen unter anderem Krebserkrankungen auslösen. In meinem Arbeitsalltag stelle ich oft fest, dass das Wissen um diese negativen Effekte mit den noch immer gesellschaftlich fest verankerten Gartenideen – kein Unkraut, keine Laus, kein Käfer, alles blitzeblank, alles unter Kontrolle – kollidiert. Daraus erwächst interessanterweise nicht die Suche nach neuen Lösungsansätzen, sondern es werden Fakten verdrängt und verleugnet. Wer hier Parallelen zu anderen Themen sieht (Klima, Gesundheit, Armut, etc.), ist bestimmt nicht auf dem falschen Dampfer.
Grundsätzlich scheint sich die Menschheit dazu entschlossen zu haben, lieber an Symptomen herumzudoktern, anstatt Ursachen zu lokalisieren, gezielt anzugehen und auch zu lösen.
Im Garten ursachenorientiert handeln – was heisst das, wie geht das, und die Frage aller Fragen: «Geht es auch ganz ohne Pestizide?».
Ich mache es nicht unnötig spannend und beantworte diese Frage ganz klar mit Ja: Es geht auch ohne Herbizide, Fungizide, Insektizide und Co. Meiner Meinung nach muss es sogar zwingend ohne Pestizide gehen – und das nicht nur im Hausgarten.
Um die Möglichkeiten genauer anzuschauen, führe ich gerne zunächst ein gutes Beispiel an: einen Rosenpark und gleichzeitig Sichtungsgarten für Rosensorten in Deutschland – den Rosengarten Zweibrücken. Der Park besteht bereits seit 110 Jahren. Für unser aktuelles Thema wird es allerdings erst ab dem Jahr 2005 so richtig spannend: Damals wurden erste Versuche eines biologisch-ökologischen Pflegeansatzes getestet. Sechs Jahre später erfolgte die komplette Umstellung – kein Insektizid, kein Fungizid und auch sonst keine chemischen Hilfsstoffe. Die Rosenanlage (45'000 m²) wurde 2019 unter Denkmalschutz gestellt und zählt zu den bedeutendsten Rosarien Deutschlands – und das ganz ohne Gift! Wie geht das denn?
Grundsätzlich kann man es so zusammenfassen:
Es braucht PflanzenzüchterInnen, die bei ihrer Arbeit stark auf die Herausforderungen der aktuellen Zeit (Hitze, Starkregen, Dürreperioden, etc.) eingehen – und nicht nur die Blüte, Laub und deren Farbgebung im Fokus haben.
Es braucht GärtnerInnen und GartenplanerInnen die fähig sind, funktionierende Gartenkonzepte zu entwickeln und zu realisieren.
Es braucht Fachleute aus der oben genannten Gartenfachgruppe, die bestehende Anlagen zeitgemäss weiterentwickeln – und dabei den Aspekt der biologisch-ökologischen Bewirtschaftung leidenschaftlich mitberücksichtigen.
Es braucht Wissen im Bereich Pflanzenverwendung, Bodengesundheit, Pflegemassnahmen – sowie Know-how über Schaderreger und deren Gegenspieler, also über biodiversitätsfördernde Ansätze für einen gesunden Garten.
Es braucht zu guter Letzt die Menschen, die diese Gartenräume besitzen und bewohnen, denn nur sie können diese Prozesse bejahen und in Gang setzen. Dazu ist es nötig, sich von alten Zöpfen zu verabschieden – was sehr schwer sein kann, denn im Garten stehen oft nicht einfach nur Bäume und Sträucher, sondern Erinnerungen an schöne Lebensphasen, ganz bestimmte geliebte LebensbegleiterInnen, aber auch an Reisen und vieles mehr. Es bedeutet unter Umständen auch Investitionen, denn eine lange Thujahecke zu ersetzen, ein grosses Rhododendronbeet umzugestalten oder die Rosenbeete zu erneuern, weil man mit dem Spritzen kaum noch hinterherkommt – das alles kostet Geld.
Das Einzige von Bestand ist die Veränderung
Unter diesem Blickwinkel wollen wir uns nun den möglichen Massnahmen annähern – Massnahmen, wie sie auch im Rosengarten Zweibrücken angewendet werden, um bei unserem guten Beispiel zu bleiben.
Düngen und andere Unterstützungsmassnahmen
Ein Verzicht auf reine Mineralstoffdünger ist ausgesprochen wichtig, denn diese versalzen die Böden, machen die darauf wachsenden Pflanzen durstiger, schädigen nützliche Bodenpilze und Mikroorganismen und tragen zur Belastung von Gewässern bei. Vollorganische Düngemittel sind daher vorzuziehen: Sie werden vom Bodenleben langsam zu pflanzenverfügbarer Nahrung umgewandelt, neigen deutlich weniger zur Auswaschung und beleben den Boden, anstatt ihn zu belasten. Im Handel sind viele vollorganische Dünger erhältlich, die zusätzlich die Bodengesundheit fördern – durch zugesetzter Mikroorganismen, Mykorrhiza-Pilze oder Pflanzenkohle. Spannend ist auch der Einsatz bestimmter Pflanzenteile, die zur Düngung und Stärkung hervorragend geeignet sind – zum Beispiel Farnwedel, Brennnessel- oder Beinwellblätter. Nicht zu vergessen: ausgereifter Kompost – ein Thema, das einen eigenen Artikel verdient.
Zur Unterstützung können viele alte Hausmittel eingesetzt werden, teilweise neu interpretiert und bequem anzuwenden. Brühen aus Schachtelhalm, Rainfarn oder Brennnessel seien hier besonders genannt. Auch viele neue Helferlein unterstützen uns beim Gärtnern. Meeresalgen, diverse Öle, Effektive Mikroorganismen (EM) und Harze können den Pflanzen durch stressige Phasen helfen – sie also stresstoleranter oder, modern gesagt, resilienter machen.
Zum Boden Sorge tragen
Mit dem Verzicht auf Pestizide sowie auf mineralische Mehrnährstoffdünger ist schon unglaublich viel erreicht – aber es geht noch besser. Das Mulchen des Bodens mit Laub, Staudenhäcksel, Grasschnitt oder Kompost ist dabei ein wichtiger Aspekt. Diese Materialien sorgen für eine verbesserte Bodenfeuchte (reduzieren auch den Bewässerungsbedarf), befeuern das Bodenleben und fördern den natürlichen Humusaufbau. Mulchen ist natürlich nur dort sinnvoll, wo die Pflanzendecke diese Aufgabe saisonal nicht übernehmen kann – zum Beispiel nach dem Rückschnitt von Stauden, Gräsern oder Farnen. Grundsätzlich lässt sich festhalten: Boden sollte nie unbedeckt sein.
Das Abdecken von Boden mit Trennvlies und Schotter sei hier ausdrücklich ausgeschlossen und als untauglich bezeichnet – ein absolutes No-Go!
Auch die Bodenbearbeitung gehört in dieses Kapitel. Umgraben ist ein zerstörerischer Eingriff und sollte bestmöglich verhindert werden; das Lockern ist in jedem Fall die bessere Wahl – egal ob in der Wechselflor-Rabatte, im Gemüsebeet etc.
Beim Neubau oder Umbau von Gartenanlagen ist das Potenzial besonders gross. Rücksichtslose Maschineneinsätze bei jeder Witterung führen zu kaum noch sanierbaren Bodenverdichtungen, und die beinahe fahrlässige Zerstörung fruchtbaren Bodenschichten ist haarsträubend. Hier sind ArchitektInnen, ProjektleiterInnen, BauführerInnen – aber auch die Bauherren – besonders gefragt.
Pflanzenkonzepte
Monokulturen sind anfällig auf Schaderreger – das ist keine blosse Behauptung, sondern ein Fakt. Man stelle sich vor, ein Wald bestehe nur aus einer Baumart, die durch ungünstige Witterungsbedingungen maximal gestresst wird und daher schwächelt. Eine einzige Käferart würde genügen, um in nur einem Jahr eine Schneise der Verwüstung anzurichten. Darum sind Flächenpflanzungen kein empfehlenswertes Konzept. Die Lösung heisst zwangsläufig Diversität. Die Idee ist simpel: Wenn etwas ausfällt, ist immer noch genügend da, um den Verlust auszugleichen. Im Garten bedeutet das: ein dauerhaft gutes Gesamtbild – selbst in Jahren mit schwierigen Witterungsbedingungen.
Im Fall vom Rosengarten Zweibrücken heisst das: Neben neuen, robusten Rosensorten verschönern rund 600 Stauden, Gräser und deren Varietäten sowie 250 weitere Gehölzarten die Rabatten. Das sorgt für ganzjährige Attraktivität und stabile Gartenverhältnisse – mit reduziertem Pflege- und Bewässerungsaufwand.
Right Plant – Right Place
Damit die letzten Behauptungen (weniger Wässern, gute Konzeptstabilität, weniger Pflege) auch wirklich funktionieren, ist es sehr wichtig, dass die Pflanzengemeinschaften nach dem immer noch gültigen Prinzip von Beth Chatto konzipiert werden: Right Plant – Right Place. Oder etwas präziser: Wenn eine Pflanzung gut auf die Umgebungsbedingungen abgestimmt ist und zudem eine gewisse Dynamik eingebaut wird, entstehen widerstandsfähige, stabile und pflegearme Gartenbilder. Mit Dynamik ist gemeint, dass einige Pflanzen innerhalb des Pflanzenkonzepts fähig sind, sich versamend durch die Rabatten zu bewegen – also allfällige Ausfälle sofort kompensieren können. Das ergibt kein starres, sondern ein dynamisches Gartenbild – ein Bild im stetigen, leichten Wandel zum Nutzen des Ganzen.
Biodiversitätsförderung
Mit der Steigerung der Pflanzenvielfalt und zusätzlichen Massnahmen – wie dem Belassen oder Einbringen von natürlichem Mulch, dem Erbauen von Trockenmauern, dem Anbringen von Nistkästen sowie dem gelegentlichen Aufschichten von Totholz oder sogar einer Totholzhecke – ergeben sich vielfältige Möglichkeiten zur Förderung der Biodiversität. Diese Steigerung reduziert gleichzeitig den Schädlingsbefall. Auch im Rosengarten Zweibrücken wurde dies beobachtet: Die einstigen Schädlinge wurden nur noch zu Nahrung für die zahlreichen Vögel und Raubinsekten. Der Pilzbefall ist selten – auch dank der verbesserten Sortenauswahl bei vielen Rosen und Stauden. Die einheimischen Pflanzen sorgen zusätzlich für ein explosionsartiges Anwachsen der Nützlingsvielfalt und runden das wirkungsvolle Gesamtpaket zur Vermeidung von Pestiziden ab. Im Rosengarten-Beispiel sind sogar die befürchteten Übertragungen von Rosen-Virus-Krankheiten z. B. durch Läuse, ausgeblieben – und so sind mittlerweile auch die letzten, anfänglich noch zahlreichen Skeptiker verstummt.
Fazit
Es geht doch – also lasst es uns tun: Schluss mit dem Ausbringen von Gift und Chemie. Wir wollen dieses Zeug weder in unseren Gärten, noch in den Seen – und schon gar nicht in unserem Trinkwasser und in unseren Nahrungsmitteln.